In der Regel ist eine Mannschaft bei der Ankunft eines neuen Trainers im November zerrüttet, verunsichert oder ausser Form. Das ist ja der Grund, warum ein neuer Trainer geholt worden ist.
Mit dem neuen Trainer beginnt dann eine neue Ära, oft wird ein neues, ganz anderes System eingefuchst. Der Umgangston ändert sich, je nach Bedarf wird er rauer oder freundlicher. Auf jeden Fall geht es nicht so weiter wie bisher.
Beim SCB ist in diesen Tagen vieles anders. Der Hockey-Tempel in Bern eignet sich wie keine andere Arena für dramatische Auftritte neben dem Eis. Der grosse, freie Vorraum zu den Kabinen ist eigentlich eine grosse Bühne. Hier und nicht im Stadttheater werden in regelmässigen Abständen die grossen Dramen aufgeführt. Hier wird «Shakespeare on the Rocks» geboten.
Manchmal gibt es auch eine Komödie oder eine Opera Buffa. Die Frage geht an SCB-Manager Raëto Raffainer, immer emsig auf der Suche nach neuen Geldquellen: Warum stellt der SCB unten im Bärengraben nicht eine mobile Bühne auf, garniert mit teuren Sponsorenwänden? Er sagt, er wolle sich das überlegen.
Mittwoch, kurz vor 13.00 Uhr, in ebendiesem Bärengraben. Hier sind nicht nur einige Trainerentlassungen gleich nach dem Spiel verkündet worden. Hier haben auch schon zahlreiche neue Trainer nach dem ersten Training Auskunft gegeben.
Nun ist also Toni Söderholm an der Reihe. Und bald wird klar: Wenn es der Zauberlehrling unter diesen Voraussetzungen nicht schafft, dann wird er kein grosser Klubtrainer, kein Hexenmeister.
Die Stimmung ist nämlich heiter, ja locker. Das hat einen guten Grund: Die Spieler sind weder verunsichert noch zerstritten noch ausser Form. Oder wie es Beat Gerber, der erfahrenste von allen, sagt: «Wir sind zwäg, wir sind bereit.» Auch er ist sichtlich guter Laune und mit 41 voller Tatendrang. Kein Wunder: Einst sass er in der Kabine gleich neben Toni Söderholm. Er wolle jetzt nicht Anekdoten aus dieser Zeit ausbreiten. «Aber er war ein lustiger Kerl.» Ihn jetzt als Chef zu haben, sei speziell.
Tristan Scherwey wird gefragt, ob er noch alle Trainerwechsel aufzählen könne, die er erlebt hat. Er kann nicht. Ja, die Entlassung von Johan Lundskog sei überraschend gekommen. «Als wir gegen die ZSC Lions 1:3 zurücklagen, da dachte ich: Wenn das so weitergeht, dann passiert etwas. Aber wir haben das Spiel noch gedreht und die Trainerentlassung kam dann doch überraschend …» Auch er ist gut drauf. Die SCB-Spieler stehen alle auf den Zehenspitzen. Rennpferde, die mit den Hufen scharren. Am Samstag werden sie auf Gottéron losgelassen.
Es ist nichts vom angespannten, befohlenen Optimismus zu spüren, der sonst die Wetterlage nach einem Trainerwechsel prägt. Noch nie seit dem Wiederaufstieg von 1986 war die Stimmung nach dem ersten Training mit einem neuen Chef im Bärengraben so locker, so entspannt. Kein Wunder, sagt Toni Söderholm: «Man hat mir gesagt, dass ich in Bern mit wundervollen Spielertypen arbeiten darf. Das kann ich nach einem ersten Eindruck nur bestätigen. Die Spieler sind neugierig. Das ist sehr wichtig, um jeden Tag besser zu werden.» Die Spieler sollten also wie Chronisten sein. Neugierig eben. Toni Söderholm hat Sinn für Ironie: «Ja, aber nicht so negativ wie Journalisten.»
Der neue SCB-Chef sagt, er habe noch nicht viel geredet. Das sei gar nicht nötig gewesen. «Wir haben gleich mit der Arbeit auf dem Eis, mit dem Schwitzen begonnen.»
Taktisch ist Toni Söderholm ein Zauberlehrling des grossen Kari Jalonen, dem SCB-Meistertrainer von 2017 und 2019. «Das ist so. Ich habe viel von ihm gelernt. Oder hoffe, dass ich etwas gelernt habe …» Dazu gehört der Grundsatz, zur Scheibe Sorge zu tragen. «Wenn der Puck verloren geht, weisst du nie, wie lange es dauert, bis du ihn wieder hast.»
Eine Systemrevolution ist also nicht zu erwarten. Es gibt in der SCB-DNA immer noch genügend taktische Erinnerungen an die ruhmreichen Zeiten unter Kari Jalonen. Toni Söderholm sagt, es gehe darum, an ein paar Schrauben zu drehen. «Dann werden auch Energien freigesetzt.» Das sieht auch Beat Gerber so. Es werde wohl ein paar taktische Justierungen geben.
Als Nationaltrainer lernte Toni Söderholm in Deutschland den Umgang mit Alphatieren. Er sage, was Sache sei. Unabhängig von Namen. Wie jeder richtige Trainer betont er die Wichtigkeit aller Spieler, des Kollektivs. «Wenn die Mitläufer einfach die Scheibe wegschiessen, wer spielt sie dann zu den Alphatieren?» Was unweigerlich die Frage provoziert: Wie viel Eiszeit wird Chris DiDomenico bekommen? Der neue SCB-Trainer spürt die Boshaftigkeit hinter dieser Frage, überlegt ein wenig und sagt: «20 Minuten.» Was wiederum Chris DiDomenico in keiner Weise beunruhigt: «Ich mache einfach alles, damit wir gewinnen.» Hat der Trainer Autorität, dann gehorcht er: Immerhin hat er in der NHL unter Guy Boucher gedient.
Das ist das Faszinierende an der Lage in Bern, die sich grundsätzlich von all den Trainerwechseln in der Vergangenheit unterscheidet: Früher war der Trainerwechsel ein Drama. Weil eben das Team ausser Form geraten, mehr oder weniger ausser Rand und Band war. Es war bei der grossen «SCB-Hockeymaschine» ein grosser Service, manchmal sogar eine Generalüberholung notwendig, um wieder in Fahrt zu kommen.
Doch diesmal ist es bloss ein Radwechsel, ein kurzer Halt während der Fahrt auf der Strasse zurück zum Ruhm. Für einen Radwechsel braucht es keinen Maschinenbauingenieur. Das kann auch ein Zauberlehrling. So gesehen sind die Wetteraussichten für den Zauberlehrling Toni Söderholm heiter, fast sonnig.
Zumal er aus seiner Erfahrung als Spieler (2005 bis 2007) in Bern, aber auch durch seine Lehr- und Wanderjahre in der weiten Welt des Sportes um die Besonderheiten eines grossen Sportunternehmens weiss. Er hat sich darüber auch mit Bayern-Trainer Julian Nagelsmann unterhalten.
Da sei einerseits die enorme Energie, die durch die Leidenschaft für einen Klub, durch die Bindung mit den Fans entstehe. Aber andererseits gebe es eben auch die Einflüsse von aussen. Die vielen Leute, die dreinreden. Toni Söderholm wird sogar philosophisch und zitiert eine alte chinesische Weisheit: «Die Wissenden reden nichts, die Redenden wissen nichts.»
Das trifft beim SCB sicherlich zu, ausgenommen sind nur die Chronistinnen und Chronisten: Die müssen berufshalber reden und schreiben, auch wenn sie nichts wissen. Den Einwand akzeptiert Toni Söderholm. Er hat eben Sinn für Ironie.
Die gute, lockere Stimmung täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass es bei diesem Trainerwechsel um sehr, sehr viel geht: Wenn Toni Söderholm nicht «funktioniert», dann sind Manager Raëto Raffainer und sein Sportchef Andrew Ebbett «mit äm Füdle am Hag anne». Das ist ein alter berndeutscher Ausdruck für eine fast ausweglose Situation.
Oder um es etwas lockerer zu sagen: Dann ist halt wieder Zeit für eine Theateraufführung im Bärengraben. Nicht mit dem Trainer, sondern mit dem Manager und Sportchef in der Hauptrolle. Regie und Souffleur: Marc Lüthi.